Neue Erinnerungszeichen für elf Münchner*innen

Gedenken zum Jubiläum: Fünf Jahre Erinnerungszeichen in München

München gedenkt seit 2018 im öffentlichen Raum mit Erinnerungszeichen an Verfolgte und Ermordete der NS-Zeit: Inzwischen gibt es über 200 Erinnerungszeichen an rund 90 Orten im Stadtgebiet. Zum fünfjährigen Jubiläum der Erinnerungszeichen wurden am 6. Juli 2023 für elf Münchner*innen neue Erinnerungszeichen gesetzt. Nach einer Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus wurden sie an fünf Standorten im Stadtzentrum angebracht.

Erinnerungszeichen am Marienplatz
Tom Hauzenberger
v.l.: Rabbiner Shmuel Aharon Brodman, Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch, Oberbürgermeister Dieter Reiter und Andrea Stadler-Bachmaier mit den Erinnerungszeichen für Emma, Hertha und Erich Emanuel Steinitz am Marienplatz 22

In Kooperation mit dem Kulturreferat

Dieser Beitrag über Erinnerungszeichen wird vom Kulturreferat der Landeshauptstadt gefördert. Die Inhalte wurden zwischen dem Kulturreferat und muenchen.de, dem offiziellen Stadtportal, abgestimmt.

Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus

Tom Hauzenberger

Aus Anlass des Jubiläums fand am Donnerstag, 6. Juli eine Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus statt. Teilgenommen haben Oberbürgermeister Dieter Reiter, Kulturreferent Anton Biebl, Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern) und Professor Dr. Michele Barricelli (Ludwig-Maximilians-Universität München), Christoph Wilker (Vertreter der Zeugen Jehovas), Andrea Stadler-Bachmaier (Bezirksausschuss 1 – Altstadt-Lehel) sowie Jamie Hall und Gilbert Short als Angehörige der Personen, für die Erinnerungszeichen gesetzt wurden.

Mit ihrer Beteiligung wurden am Abend an fünf Orten im Stadtzentrum Erinnerungszeichen für insgesamt elf Münchnerinnen und Münchner angebracht.

„Vor fünf Jahren haben wir die ersten Erinnerungszeichen für Tilly und Franz Landauer in der Königinstraße angebracht. Seitdem hat die Landeshauptstadt München über 200 Erinnerungszeichen in ganz München gesetzt. Wir wollen so die Erinnerung an all jene Menschen wach halten, die von den Nationalsozialisten brutal verfolgt und ermordet wurden, und ihnen einen öffentlich sichtbaren Platz mitten unter uns widmen. Ihr Schicksal mahnt uns jeden Tag aufs Neue, wie wichtig es ist, unsere demokratische Gesellschaft gegen alle menschenverachtenden Angriffe zu verteidigen."

Dieter Reiter Oberbürgermeister der Stadt München

„Ein Gedenken auf Augenhöhe: Das setzt die Stadt München mit den Erinnerungszeichen seit inzwischen fünf Jahren überall im Stadtbild um. Frühere Münchner, die verfolgt, entrechtet und ermordet wurden, werden so für die heutigen Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt wieder sichtbar, eine scheinbar entfernte Vergangenheit rückt in den Alltag. In Zeiten eines wieder anwachsenden Extremismus setzt die Landeshauptstadt damit ein wichtiges Zeichen – für die jüdische Gemeinschaft und für die ganze Stadtgesellschaft.“

Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

„Fünf Jahre Erinnerungszeichen in München bedeutet, dass wir an ungefähr 200 Opfer des Nationalsozialismus erinnert haben, an ungefähr 90 Orten. Und wichtig bei den Erinnerungszeichen ist, dass wir auf Augenhöhe erinnern. Dass wir den Opfern wieder ein Gesicht geben und dass sie in die Mitte der Stadtgesellschaft zurückkehren. Es gibt aktuell ungefähr 150 weitere Anträge, die auf Initiativen zurückzuführen sind. Das Projekt wird fortgesetzt und ist Teil der Erinnerungsarbeit. Das ist mir immer ganz wichtig."

Anton Biebl Kulturreferent der Stadt München

Anbringung der Erinnerungszeichen: Die neuen Standorte

Oberbürgermeister Dieter Reiter bei der Anbringung eines Erinnerungszeichens am Marienplatz 22
Tom Hauzenberger
Oberbürgermeister Dieter Reiter bei der Anbringung eines Erinnerungszeichens am Marienplatz 22

An diesen Standorten wurden die neuen Erinnerungszeichen angebracht:

  • Erinnerungszeichen für Emma, Hertha und Erich Emanuel Steinitz am ehemaligen Wohnhaus Marienplatz 22 mit Oberbürgermeister Dieter Reiter, Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch, Andrea Stadler-Bachmaier und Rabbiner Shmuel Aharon Brodman.
  • Erinnerungszeichen für Hedwig, Jeanette und Rosa Hiller am ehemaligen Wohnhaus in der Burgstraße 1 mit Kulturreferent Anton Biebl, Ariella Chmiel (Initiatorin der Erinnerungszeichen) und Rabbiner Shmuel Aharon Brodman
  • Erinnerungszeichen für Melitta und Max Wallach am ehemaligen Trachtenhaus Wallach in der Residenzstraße 3 mit Dr. Regina Prinz (Münchner Stadtmuseum) und Jamie Hall (Angehöriger, Initiator der Erinnerungszeichen)
  • Erinnerungszeichen für Josef Kaltenbacher am ehemaligen Wohnhaus in der Marienstraße 10 mit Dr. Daniel Baumann (Stadtarchiv München) und Christoph Wilker (Initiator des Erinnerungszeichens)
  • Erinnerungszeichen für Betty und Hugo Epstein am ehemaligen Geschäftshaus in der Sendlinger Straße 21 mit Anke Buettner (Monacensia im Hildebrandhaus) und Gilbert Short (Angehöriger, Initiator der Erinnerungszeichen).

Video: 5 Jahre Erinnerungszeichen in München

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Diesen elf Münchner*innen sind neue Erinnerungszeichen gewidmet

Erinnerungszeichen in München
Public History München
Archivbild

Emma Steinitz, geborene Kalmus, erblickte am 26. Dezember 1861 in Neumarkt bei Breslau das Licht der Welt. Sie heiratete am 10. Februar 1890 den Kaufmann Ludwig Steinitz aus Cusel. Tochter Hertha wurde am 12. Februar 1892, Sohn Erich Emanuel am 1. August 1895 in München geboren. Die jüdische Familie wohnte seit 1907 am Marienplatz 24. Emma Steinitz war nach dem Tod ihres Ehemanns 1898 mit ihrem Schwager Georg Steinitz Teilhaberin eines Seiden- und Weißwarengeschäfts mit Damenhut- und Korsettfabrik.

Hertha Steinitz legte am 9. März 1914 die Diplomkaufmannsprüfung an der Handels-Hochschule München ab. Erich Emanuel Steinitz studierte ebenfalls dort. Er nahm 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten begannen für die jüdische Familie Steinitz Verfolgung, Ausgrenzung und Enteignung. Ende 1940 wurden sie aus ihrer Wohnung am Marienplatz 24 vertrieben und lebten in der Goethestraße 74. Emma Steinitz starb hier am 2. April 1941. Hertha und Erich Emanuel Steinitz deportierte die Gestapo am 20. November 1941 in das litauische Kaunas, wo SS-Truppen sie am 25. November 1941 mit fast 1 000 Münchner Jüdinnen und Juden erschossen.

1862 hatte der Münchner Magistrat dem jüdischen Kaufmann Samuel Hiller das Bürgerrecht verliehen, 1872 erwarb er das Haus in der Burgstraße 3 (heute 1). Er und seine Frau Gertrud bekamen vier Töchter – Anna Hiller am 22. Juni 1865, Jeanette (Johanna) Hiller am 28. Mai 1867, Rosa Hiller am 25. Dezember 1869 und Hedwig Hiller am 2. Juli 1876. Anna Hiller starb bereits 1928. Rosa Hiller war später Eigentümerin des Hauses. Jeanette Hiller arbeitete als Kassiererin. Die drei Schwestern blieben unverheiratet und lebten gemeinsam in der Burgstraße 3. Am 30. Januar 1934 starb Hedwig Hiller.

Ihre Schwestern wurden im Oktober 1940 gezwungen, ihr Elternhaus zu verlassen und in das überfüllte Krankenheim der Israelitischen Kultusgemeinde zu ziehen. 1942 wurden sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Jeanette Hiller starb dort kurz nach ihrer Ankunft am 18. Juni 1942, Rosa Hiller am 6. Dezember 1942.

Melitta Elisabeth Wallach, geborene Holländer, kam am 8. Januar 1894 in Darmstadt zur Welt. Am 14. August 1923 heiratete sie den am 9. Oktober 1875 in Geseke geborenen Ingenieur Max Wallach. Max Wallach diente von 1898 bis 1899 bei der Kaiserlichen Marine und bereiste später als Handelsmatrose und Ingenieur die Welt. Ihr Sohn Franz Julius wurde am 22. Mai 1924 in München geboren. Von 1920 bis 1938 leitete Max Wallach die Dachauer Weberei und Stoffdruckerei für das von seinem Bruder geführte und über München hinaus bekannte Trachtenhaus Wallach in der Residenzstraße 3.

Die Brüder betrieben zudem seit 1920 gemeinsam das Volkskunsthaus Wallach in der Ludwigstraße 7, in dem auch Melitta Wallach tätig war. Sie und Max Wallach waren häufig im Geschäft in der Residenzstraße 3 anzutreffen, wo die in Dachau hergestellten Stoffe verkauft wurden. Das Trachtenhaus und die Weberei wurden durch die Nationalsozialisten enteignet. Die Familie verließ Dachau und lebte ab November 1938 in München. Franz Julius Wallach konnte im August 1939 mit einem Kindertransport nach England gerettet werden.

Melitta und Max Wallach gingen 1939 nach Paderborn. Die Gestapo deportierte sie am 21. Juli 1942 von Münster in das Ghetto Theresienstadt und am 28. Oktober 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz, wo die SS sie ermordete.

Josef Kaltenbacher wurde am 26. Februar 1902 in St. Blasien bei Waldshut in Baden geboren. Er schloss eine Berufsausbildung als Mechaniker ab und lebte seit 1924 in München. Er heiratete am 6. Mai 1927 in München Rosa Rieger. Das Ehepaar wohnte ab 1934 in der Marienstraße 10. Der Zeuge Jehovas Josef Kaltenbacher machte trotz Verbot Hausbesuche und sprach über die Bibel.

Am 27. Mai 1936 traf er auf den „Alten Kämpfer" und Katholiken Josef Hitzler, der ihn denunzierte. Der Prozess gegen Josef Kaltenbacher fand vor dem Münchner Sondergericht am 23. Juli 1936 statt. Am 7. August 1937 wies ihn die Gestapo in das KZ Dachau ein. Die SS verschleppte ihn am 27. September 1939 in das KZ Mauthausen, wo er am 12. März 1940 ermordet wurde

Betty Epstein, geborene Wallach, kam am 14. August 1877 in Geseke zur Welt. In erster Ehe war sie mit Bernhard Rothstein verheiratet, das Ehepaar hatte zwei Töchter – Anna und Marie Luise. Nach dem Tod ihres Ehemanns 1919 führte sie als Inhaberin das Juweliergeschäft „J. Bernhard Rothstein" in der Sendlinger Straße 21. Am 20. April 1921 schloss sie die Ehe mit Hugo Epstein.

Er wurde am 23. November 1872 in Breslau geboren und hatte von 1916 bis 1918 im Ersten Weltkrieg gekämpft. Die jüdische Familie wohnte in der Westermühlstraße 7. Auch sie erlebten ab 1933 Ausgrenzung, Verfolgung und Enteignung. 1938 musste das Juweliergeschäft abgemeldet werden. Hugo Epstein war in Folge der sogenannten „Kristallnacht" vom 10. November bis zum 28. Dezember 1938 im KZ Dachau inhaftiert. Das Ehepaar bemühte sich vergeblich, über England in die USA auszureisen.

Im September 1940 mussten die Epsteins ihr Zuhause verlassen und in die Germaniastraße 36 ziehen. Am 16. Februar 1942 pferchte die Gestapo sie in der „Judensiedlung Milbertshofen" ein. Dort starb Hugo Epstein am 20. Mai 1942. Betty Epstein wurde am 15. Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 13. Oktober 1942 infolge der katastrophalen Verhältnisse starb. Ihre Töchter konnten emigrieren und überlebten die Shoah.

Was sind Erinnerungszeichen?

Erinnerungszeichen in der Königinstraße
Anette Göttlicher
Archivbild

Vor fünf Jahren, im Juli 2018, wurden die ersten Erinnerungszeichen in München gesetzt. Inzwischen sind es über 200 an mehr als 90 Orten im ganzen Stadtgebiet. Erinnerungszeichen werden – auf Antrag – an Orten angebracht, an denen Menschen lebten, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Sie bestehen aus gebürstetem Edelstahl und sind vergoldet. Es gibt sie in zwei Ausführungen – als Wandtafeln an der Fassade und als Stelen auf öffentlichem Grund.

Erinnerungszeichen geben den heute meist vergessenen Opfern der NS-Verfolgung einen Platz in der Münchner Stadtgesellschaft zurück. Sie enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben über das Schicksal und – falls vorhanden – auch ein Bild. Texte und Bilder werden mit einem Laser in das Metall eingeschnitten. Durch die gelochte Oberfläche können die Informationen auch ertastet werden.

Wer sich über das Projekt informieren, ein Erinnerungszeichen beantragen oder eine Patenschaft übernehmen möchte, findet Kontakte und auf der Webseite.

Kartenapp für Erinnerungszeichen

Public History München

Seit Januar 2022 gibt es eine Kartenapp für die Erinnerungszeichen. In dem Onlineangebot können gezielt Standorte der Erinnerungszeichen gefunden werden, um sich vor Ort über die Lebensgeschichten der Menschen zu informieren. Die Kartenapp verfügt über eine Routenfunktion sowie Filtermöglichkeiten nach Stadtteilen und Opfergruppen.

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